Förderschule – der perfekte Schonraum?
Die UN-Behindertenrechtskonvention ist bezüglich des Themas Schule eindeutig und fordert, dass
Menschen mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom allgemeinen Bildungssystem ausgeschlossen werden und dass Kinder mit Behinderungen nicht aufgrund von Behinderung vom unentgeltlichen und obligatorischen Grundschulunterricht oder vom Besuch weiterführender Schulen ausgeschlossen werden
Trotzdem bekommen Eltern behinderter Kinder weiterhin nicht selten den Rat, ihr Kind auf eine Förderschule zu geben. Einer der Gründe ist die Angst, es könne aufgrund seiner Behinderung in der allgemeinen Schule gemobbt werden. Befürworter*innen von Förderschulen argumentieren dabei oft, dass Kinder mit Behinderung schwach und schutzlos seien – und man ihnen einen Gefallen tue, wenn sie in einer Klassengemeinschaft mit „ähnlich belasteten Kindern” lernen und ihren Schulalltag erleben.
Es wird befürchtet, an Regelschulen seien diese Kinder einsam und würden sich ihrer Schwächen umso bewusster, wenn sie die Leistungen der nichtbehinderten Klassenbesten erleben müssten.
Diese Argumentationen basieren auf der Annahme, Schulkinder mit Förderbedarf seien eine homogene Gruppe und Menschen mit Behinderung würden sich grundsätzlich besser untereinander verstehen. Menschen mit Behinderung bestreiten dies, und auch die Erfahrungen in guten inklusiven Schulen sind andere. Eine Behinderung ist lediglich eines von vielen Merkmalen, die ein Mensch hat. Freundschaften unter Kindern werden nicht anhand ähnlicher Behinderungen geschlossen, sondern weil man gemeinsame Interessen hat – Fußball mag, zusammen in der Schulband oder einer Theatergruppe spielt.
Die ehemalige Bildungspolitikerin Dr. Brigitte Schumann promovierte zu dem Thema „Ich schäme mich ja so! Die Sonderschule für Lernbehinderte als Schonraumfalle”. Schumann bestreitet die These, dass Förderschulen für Kinder mit Behinderung ein entwicklungsfördernder Schonraum seien. Sie weist anhand ihrer Untersuchungsergebnisse sogar auf ein „gewaltbegünstigendes Schulklima” an Förderschulen hin, das unter anderem durch die soziale Isolation entsteht, die diese Schulen bewirken.
Auch der Erziehungswissenschaftler Prof. Klaus-Jürgen Tillmann hat anhand empirischer Ergebnisse des Forschungsprojektes „Gewalt in der Schule” festgestellt, dass es verglichen mit anderen Schulformen an Förderschulen für Lernhilfe am häufigsten zu physischen und psychischen Gewaltausübungen kommt:
Dort, wo sich überproportional viele Schüler(innen) mit Lernproblemen und Schulversagen befinden, sind auch die Formen des Konfliktlösungs- und Problembewältigungshandelns der Jugendlichen in höherem Maße von aggressiven Mustern geprägt.
In einer weiteren Studie über „Sexualisierte Gewalt in der Erfahrung Jugendlicher” wurde festgestellt, dass Jugendliche an Förderschulen häufiger von sexueller Gewalt betroffen sind als die Schülerschaft an Regelschulen.
In der von der Bertelsmann Stiftung in Auftrag gegebenen Studie „Sonderweg Förderschulen: Hoher Einsatz, wenig Perspektiven” belegt der Erziehungswissenschaftler Prof. Dr. Klaus Klemm aufgrund verschiedener Untersuchungen, „dass Förderschülerinnen und -schüler in integrativen Settings gegenüber denen in institutionell separierenden Unterrichtsformen einen deutlichen Leistungsvorsprung aufweisen.” Drei Viertel verlassen die Förderschule ohne Abschluss.
Zusammenfassend muss man sagen: Es gibt viele Belege, dass das Konzept Förderschule als Schonraum nicht wie erhofft funktioniert. Isolation, Versagenserfahrungen, Stigmatisierung usw. wirken im Gegenteil belastend.
Dabei ist die Idee von Schonräumen an sich eine gute – solange dieser Schonraum selbstbestimmt, nach Bedarf und temporär genutzt werden kann, und zwar von allen Kindern – behinderten wie nicht behinderten – denn das Bedürfnis nach Schutz ist keines, das naturgemäß und automatisch mit dem Merkmal Behinderung zusammenhängt.
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