Die Kinder der Utopie Die Kinder der Utopie

Dies ist das Archiv unserer großen Kampagne im Jahr 2019. Die aktuelle Website zum Film finden Sie unter diekinderderutopie.de

Um ein Problem zu lösen, müssen wir die Lösung noch nicht kennen

In der Inklusion können wir die Lösung gar nicht kennen, denn alle Kinder und ihre Bedürfnisse unterscheiden sich und sind immer wieder neu.

Um ein Problem zu lösen, müssen wir die Lösung noch nicht kennen

Anfang der 2000er Jahre studierte ich in Oxford – und stand eines Tages mit einem Kommilitonen älteren Semesters, einem ehemaligen Banker, in einem Eisenwarenladen. An der Theke stand ein großer Korb voll mit kleinen, hübsch geschnitzten Keilen. Sie sahen aus wie Türstopper, waren dafür aber viel zu klein. Neugierig, wie ich war, fragte ich meinen Kommilitonen, was es damit auf sich hätte. „Oh“, sagte er, „they are to stop the windows from rattling!“ “Die sind dazu da, dass die Fenster nicht klappern.” Dazu muss man wissen: Englische Fenster sind häufig gegeneinander nach oben zu verschiebende Scheiben in Holzrahmen. Und weil die nie abgedichtet sind, klappern sie dort, wo die Holzrahmen aufeinandertreffen. Die kleinen Fensterstopper verhindern das. Derselbe Kommilitone berichtete von der Wohnung von Freunden in München. Qualitätsmerkmal: „And all the windows closed!“ – „Alle Fenster waren dicht!“

Frau im Rollstuhl benutzt Aufzug auf einem Bahnsteig
Foto: Andi Weiland, Gesellschaftsbilder

Die Engländer hatten für ein drängendes Problem eine kluge, schnelle Lösung gefunden. Die Deutschen hatten solange am System gefeilt, bis die Ursache des Problems behoben war.

In der Inklusion braucht es beides: den Fensterstopper, die schnelle Maßnahme, um in einer akuten Situation Abhilfe zu schaffen. Und den langen Atem, das System so zu verändern, dass es dauerhaft besser wird.

Beides kann ganz unterschiedlich aussehen. Und beides gehört zusammen gedacht: die mobile Rampe, um schnell Zugang für ein Kind zu schaffen, das auf einen Rollstuhl angewiesen ist. Und der Einbau des Fahrstuhls, um sicherzustellen, dass beim nächsten Mal auch der Besuch der Fachräume im Obergeschoss kein Problem mehr darstellen wird.

Das geteilte Pausenbrot mit dem Kind, das schon wieder kein Frühstück dabei hat und am Abend nichts zu essen hatte. Und das gemeinsame Schulfrühstück für alle Kinder als Bestandteil des Tages.

Die Krisensitzung, weil ein Kind mit Stühlen wirft und es selbst und die anderen Kinder geschützt werden müssen. Und die wöchentlichen Fallbesprechungen nach festem Protokoll, in denen auch die betrachtet werden, bei denen sich erst andeutet, dass sie mit irgendetwas zu kämpfen haben.

Das kann keiner alleine. Das soll auch keiner alleine. Es braucht:

  • Neugier: Warum ist die Situation so, wie sie ist? Warum verhält sich ein Kind gerade so und nicht anders?
  • Einfallsreichtum: Was können wir in dieser besonderen Situation tun?  Und wie wollen wir unser System ändern, um beim nächsten Mal besser vorbereitet zu sein? Andere Lösungen finden?
  • Zusammenarbeit: Wie sieht jeder von uns die Situation? Wer weiß was worüber? Wer könnte etwas wissen, der noch nicht mit am Tisch sitzt? Welche Aufgaben können wir wie teilen? Wer kann uns helfen?

Um ein Problem zu lösen, müssen wir die Lösung noch nicht kennen. In der Inklusion können wir die Lösung auch gar nicht kennen – denn die Kinder und Jugendlichen, die in zwei Jahren die Schule besuchen, sind ja ganz andere als die, die heute da sind. Aber nicht zu wissen, wo genau wir landen werden, braucht uns nicht am Loslaufen und Handeln zu hindern. Es kann uns einfach neugierig machen.

Und vielleicht gibt die Ruhe, die eintritt, wenn die Fenster nicht mehr klappern, auch den Raum, um darüber nachzudenken, wie Fenster denn noch überhaupt aussehen könnten, die nicht klappern. Und wie es gelingen kann, sie einzubauen.


Wir werfen einen neuen Blick auf Inklusion – entspannter und lösungsorientierter. Inspiriert dazu hat uns der neue Film DIE KINDER DER UTOPIE.

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